Die Autoren versuchen, "die verdrängten Schattenseiten der Weimarer Traditionspflege [...] kritisch aufzuarbeiten" (IX). Dabei geht es vor allem um die Frage, inwiefern das vermeintlich "unpolitische" Umgehen mit dem kulturellen Erbe der "Weimarer Klassik" tatsächlich zur Destabilisierung der politischen Kultur in der Weimarer Republik beigetragen hat. Das Jahr 1930 - im Januar übernahm der Nationalsozialist Wilhelm Frick das thüringische Innen- und Volksbildungsministerium - steht dafür im Mittelpunkt der Darstellungen. Der Band versammelt, um einige Aufsätze ergänzt, die Beiträge zur Tagung "Weimar 1930. Kulturelle 'Schattenlinien' in der Provinz". Sie fand Ende 1996 im Rahmen des Forschungsprojektes "Die völkische und nationalsozialistische Instrumentalisierung kultureller Traditionen in Weimar seit dem Ende des 19. Jahrhunderts" statt. Inhalt: Lothar Ehrlich / Jürgen John: "Weimar 1930". Politik und Kultur im Vorfeld der NS-Diktatur (VII-XXXVIII); Hans Mommsen: Das Jahr 1930 als Zäsur in der deutschen Entwicklung der Zwischenkriegszeit (1-13); Karsten Rudolph: Untergang auf Raten. Die Auflösung und Zerstörung der demokratischen Kultur in Thüringen 1930 im regionalen Vergleich (15-29); Georg Bollenbeck: Kulturelle Enteignung? Diskursive Reaktionen auf die Moderne in Deutschland (31-45); Wolfgang Bialas: Zwischen geschichtsphilosophischer Distanzierung und politischer Nähe: Philosophische Diagnosen der Zeit um 1930 (47-72); Jürgen Oelkers: Deutsche Klassik in deutscher Reformpädagogik. Übergänge um 1930 (73-97); Holger Dainat: "Dieser ästhetische Kosmopolitismus ist aus für uns." Weimarer Klassik in der Weimarer Republik (99-121); Karl Robert Mandelkow: Zwischen Weimar und Potsdam. Aspekte der Goetherezeption in den zwanziger und dreißiger Jahren in Deutschland (123-138); Justus H. Ulbricht: Im Herzen des "geheimen Deutschland". Kulturelle Opposition gegen Avantgarde, Moderne und Republik in Weimar 1900 bis 1933 (139-167); Hildegard Châtellier: Friedrich Lienhard als ungetreuer Verwalter des Weimarer Erbes? Politische Implikationen kultureller Verbiegungen (169-183); Thomas Neumann: "... der die idealen Triebe Ihrer Vorschläge vollauf zu würdigen weiß." Friedrich Lienhard und die Goethe-Gesellschaft (185-210); Konrad Dussel: Theater in der Krise. Der Topos und die ökonomische Realität in der Weimarer Republik (211-223); Burkhard Stenzel: Das Deutsche Nationaltheater in Weimar. Symbol und Schauplatz kultureller Praktik um 1930 (225-241); Bruce Campbell: Gerhard Roßbach, the Spielschar Ekkehard and the cultural Attack on the Weimar Republic (243-259); Meike G. Werner: Die Erfindung einer Tradition. Der Verleger Eugen Diederichs als "kultureller Reichsgründer" (261-274); Erhard Naake: Die Beziehungen zwischen Elisabeth Förster-Nietzsche und dem Thüringischen Innen- und Volksbildungsminister Wilhelm Frick (275-292).