/ 21.06.2013
Günter Schabowski
Wir haben fast alles falsch gemacht. Die letzten Tage der DDR
Berlin: Econ 2009; 281 S.; 19,90 €; ISBN 978-3-430-30021-6Schabowski, ehemaliges Politbüro-Mitglied und in die Geschichtsbücher aufgenommen als derjenige, der die Maueröffnung verkündete, hat bereits kurz nach der Wende damit begonnen, seinen Anteil an dem sozialistischen Regime auszuloten und sich der Verantwortung zu stellen – befördert durch einen Prozess, in dem er wegen Totschlags an den Maueropfern zu drei Jahren Haft verurteilt worden war. Mit dem Abstand von zwanzig Jahren und nach der Lektüre u. a. der Bücher des Philosophen Karl Popper stellt er sich nun noch einmal im Gespräch mit dem Journalisten Sieren seiner Vergangenheit – leider als Einziger der ehemaligen Führungsriege. Seine Erfahrungen und seine früheren Überzeugungen bindet er in grundsätzliche Überlegungen zu den Mechanismen von Ideologien ein. Entstanden ist so eine auf praktischen Erfahrungen beruhende Reflexion über den Marxismus und den Versuch, diese Utopie zu realisieren – wobei grundlegende Fehler wie die Missachtung der individuellen Menschenrechte und die Ignoranz gegenüber den Wandlungsmöglichkeiten des Kapitalismus seiner Ansicht nach schon bei Marx angelegt und keine späteren Fehlinterpretation waren. Im weiteren Gespräch wird der Bogen geschlagen über die Geschichte des sowjetischen Kommunismus (in dem Terror und Schauprozesse eine integrale Rolle bei der Systemstabilisierung spielten) bis hin zu wichtigen Eckpunkten der DDR (Staatssicherheit, Volksaufstand am 17. Juni 1953). Thematisiert werden die heute schwierig zu bewertenden deutsch-deutschen Beziehungen sowie die Rolle Gorbatschows. Es stellt sich der Eindruck ein, dass die DDR geradezu dilettantisch in den wirtschaftlichen Bankrott hinein regiert wurde – da die SED-Führung an die Gesetzmäßigkeit der Geschichte glaubte, hatte sie ein mögliches Scheitern nicht in Betracht gezogen. Übrig geblieben sei nun mehr oder weniger nur der grüne Pfeil an den Verkehrsampeln, meint Schabowski ironisch. „Ich frage mich allerdings heute noch, wie wir so etwas in der DDR durchgehen lassen konnten: Bevorzugung von Rechtsabbiegern, und das noch bei der Warnfarbe Rot.“ (253)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.314 | 2.315 | 2.331 | 2.35
Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Günter Schabowski: Wir haben fast alles falsch gemacht. Berlin: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/30539-wir-haben-fast-alles-falsch-gemacht_36260, veröffentlicht am 15.04.2009.
Buch-Nr.: 36260
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Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
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