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/ 20.03.2014
Norman Braun / Thomas Voss

Zur Aktualität von James Coleman. Einleitung in sein Werk

Wiesbaden: Springer VS 2014 (Aktuelle und klassische Sozial- und Kulturwissenschaftler/innen); 157 S.; 14,90 €; ISBN 978-3-531-16906-4
Die Arbeiten des Soziologen James Coleman (1926‑1995) werden in der deutschen Politikwissenschaft kaum rezipiert, obschon seine Arbeitsschwerpunkte zu sozialen Systemen und zu menschlichem Verhalten – das er aus der Perspektive des Rational‑Choice‑Ansatzes analysiert – durchaus anschlussfähig wären. Norman Braun und Thomas Voss stellen James Coleman in ihrer überaus gelungenen Einführung als einen „untypischen Vertreter der Sozialtheorie“ (9) vor, der neben mathematischen Modellierungstechniken auch einen sehr engen Bezug zur Empirie gehabt habe. Nach einer biografische Skizze, der Darstellung der zentralen wissenschaftlichen Bezugspersonen (Lazarsfeld, Merton und Becker) und seiner ideengeschichtlichen Hintergründe (unter anderem Durkheim, Weber, Popper und Hayek) folgt die eigentliche Auseinandersetzung mit seinem Werk. Eine zentrale Stellung kommt der Handlungstheorie zu: „Seit den 1960er‑Jahren publizierte Coleman theoretische Beiträge, die soziale Phänomene und Prozesse durch zielgerichtete individuelle Verhaltensweisen und deren Verflechtungen begründen.“ (75) Komplexe soziale Konstellationen werden in ihrer Dynamik durch die fehlende Übereinstimmung von Kontrolle (im Sinne von Verfügungsgewalt oder Handlungsrechten) und Interesse bei einer endlichen Anzahl von Akteuren beschreibbar. Vor diesem Hintergrund kann er auch die Entstehung – und noch wichtiger: die Durchsetzung – sozialer Normen erklären: „Danach kann eine Norm dann geschaffen und durchgesetzt werden, wenn es den Akteuren eines Sozialsystems gelingt, sich gegenseitig zu überwachen und sich die entstehenden Kosten der Belohnung von Normkonformität oder der Sanktionierung von Normabweichungen zu teilen.“ (85 f.) Für kooperatives Verhalten in sozialen Systemen – verstanden als die endliche Summe von Akteuren, die „mit einer endlichen Zahl von ‚Dingen‘“ (74) konfrontiert sind – verwendet Coleman zudem den Begriff des sozialen Kapitals, der in einem anderen theoretischen Kontext prominent etwa von Pierre Bourdieu verwendet worden war. Coleman versteht hierunter schlicht wechselseitige „Obligationen zwischen den Mitgliedern einer Gruppe“ (88), was exemplarisch zu verdeutlichen vermag, wie ‚schlank‘ – und das ist keineswegs pejorativ gemeint – seine Theorie aufgebaut ist. Wer auf eine breite Diskussion der ontologischen Voraussetzungen der verwendeten Begriffe zu verzichten und den rationalen Umgang mit Informationen sowie die allgemeine Wohlinformiertheit zu akzeptieren bereit ist, wird in Colemans „Foundations of Social Theory“ (1990) weitere spannende Inspirationen finden – dank dieser Einführung.
{LEM}
Rubrizierung: 5.465.45 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Norman Braun / Thomas Voss: Zur Aktualität von James Coleman. Wiesbaden: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/36868-zur-aktualitaet-von-james-coleman_39888, veröffentlicht am 20.03.2014. Buch-Nr.: 39888 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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