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/ 04.06.2013
Elke-Barbara Schmeier

Zur politischen Philosophie im Spätwerk Friedrich Schlegels. Die Aushöhlung des sittlichen Fundaments durch den Liberalismus

Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 1997 (Europäische Hochschulschriften: Reihe XXXI, Politikwissenschaft 330); 242 S.; brosch., 69,- DM; ISBN 3-631-32221-6
Politikwiss. Diss. Frankfurt a. M. - Während zur Frühromantik und insbesondere zum jungen Friedrich Schlegel seit Ende der 60er Jahre eine Vielzahl von Studien erschienen ist, gibt es so gut wie keine neuere Literatur, die sich mit Schlegels politischem Spätwerk auseinandersetzt. Insofern ist die vorliegende Untersuchung zu begrüßen, zumal sie der Versuchung entgeht, gängige Verdikte der Schlegelrezeption zu perpetuieren, wie die des reaktionären, autoritären und fortschrittsfeindlichen Parteigängers Metternichs. Der Autorin gelingt eine textnahe, detaillierte und differenzierte Darstellung der Positionen Schlegels zu Religion, Revolution, Naturrecht, Republikanismus und Geschichtsphilosophie - wobei die Arbeit über weite Strecken die angekündigte soziologische Einbettung vermissen läßt. So weist Schmeier z. B. auf interessante Parallelen zu Adorno und Horkheimer hin - etwa dem Festhalten am religiös begründeten Wahrheitsanspruch - ohne sie jedoch weiter zu verfolgen. Überzeugend hingegen belegt die Arbeit die sittlich-moralische und vor allem religiöse Fundierung der Schlegelschen Ideen von Staat und Gesellschaft. Nach der gescheiterten Französischen Revolution sehe Schlegel das Heil der Menschheit vor allem in einer Rückbesinnung auf Liebe, Gott und sittliche Gemeinschaft, um der fortschreitenden Atomisierung und Mechanisierung der Lebensverhältnisse entgegenzuwirken. Ideal sei eine Art "Theokratie", womit nicht die Aufhebung der Trennung von Staat und Kirche gemeint sei (diese sollten sich gegenseitig regulieren), sondern die "Herrschaft und Führung durch unmittelbare göttliche Kraft" (218). Demgegenüber wird die Frage nach der richtigen Staatsform für Schlegel sekundär. Im Zweifel realisiere sich die Theokratie eher in einer ständischen Monarchie (nach mittelalterlichem Vorbild) als in einer reinen Republik, weil letztere nach den Erfahrungen der Französischen Revolution zu Unruhe und Dynamismus (und damit von Gott weg) führe. Andererseits verweigert Schlegel im Bewußtsein des utopischen Charakters seiner Staatsvorstellungen die Aussage darüber, wie der Weg zu dem "Lichtzustand" der idealen Gesellschaft verlaufen könnte. Seine Politik könne auch nicht öffentlich gelehrt werden, denn sie vollziehe sich zunächst als Bewußtseinswandel im Einzelnen. Insofern entlasse Schlegel den Einzelnen gerade nicht aus seiner Verantwortung und suggeriere auch keinen automatischen Vernunftfortschritt der Menschheit, sondern glaube vielmehr (wie später W. Benjamin) an die Notwendigkeit, aus der Geschichte in einem Sprung herauszutreten. Schmeier kommt zu dem Schluß, daß Schlegel gerade nicht "reaktionär" im Sinne eines Metternich und Gentz zu nennen sei, weil diese sich mit einer Restauration des absolutistischen Ancien régime begnügen wollten. Statt dessen forderte er eine Gesellschaft, die für ein absolutes Sittlichkeitsideal eintritt, wobei alle Institutionen (außer der Ehe und der Kirche) und letztlich auch die Politik überflüssig würden: Als gewaltfreie Anarchie läßt sich dieses Modell nur erhoffen.
Claudia Bruns (CB)
Dr., Historikerin.
Rubrizierung: 5.33 Empfohlene Zitierweise: Claudia Bruns, Rezension zu: Elke-Barbara Schmeier: Zur politischen Philosophie im Spätwerk Friedrich Schlegels. Frankfurt a. M. u. a.: 1997, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/5291-zur-politischen-philosophie-im-spaetwerk-friedrich-schlegels_6955, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 6955 Rezension drucken
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