/ 19.06.2013
Marcus Obrecht
Niedergang der Parlamente? Transnationale Politik im Deutschen Bundestag und der Assemblée nationale
Würzburg: Ergon 2006 (Politikwissenschaftliche Theorie 2); XVI, 358 S.; kart., 45,- €; ISBN 978-3-89913-522-0Politikwiss. Diss. – Infolge von Europäisierung und Globalisierung haben vor allem die nationalen Parlamente Einbußen in ihren Funktionen hinnehmen müssen, weshalb in der Parlamentarismusforschung vielfach von einem Niedergang der Parlamente gesprochen wird. Auch Obrecht geht zunächst von dieser These aus. Er untersucht den Wandel der parlamentarischen Funktionen (Gesetzgebung, Kontrolle, Repräsentation und Legitimation) des deutschen Bundestages und der französischen Nationalversammlung und identifiziert die dafür verantwortlichen Variablen (Grad an Föderalismus, Konsens und Autonomie). Er ordnet dafür zunächst beide Parlamente in das jeweilige politische System ein und arbeitet drei elementare Strukturen parlamentarischer Arbeit heraus, die über Art und Umfang von Anpassungsstrategien beider Parlamente im Europäisierungs- und Globalisierungsprozess Auskunft geben (Spezialisierungsstrukturen auf der Ausschussebene, Öffentlichkeitsstrukturen auf der Plenumsebene sowie Netzwerkstrukturen als Form „parlamentarischer Außenpolitik“). Das Ergebnis seiner Studie ist, dass die Niedergangsthese so nicht mehr haltbar ist. Beide Parlamente haben sich Spielräume geschaffen oder zurückerobert und damit ihre Stellung im politischen System behaupten können. Ein Beispiel ist die 1979 etablierte Délégation pour l’Union européenne, deren Kompetenzen mittlerweile so weit ausdifferenziert sind, dass sie einem vollwertigen Parlamentsausschuss gleichkommt, obwohl die Verfassung der V. Republik nur sechs ständige Ausschüsse zulässt. Die Studie zeigt, dass weniger von einem generellen Funktionsverlust, sondern von einer Verschiebung der Schwerpunkte ausgegangen werden muss. In einer Art „homöopathischem Parlamentarisierungsprozess“ der transnationalen Politik haben beide Parlamente Antworten auf den relativen Einflussverlust bei der Gesetzgebung gefunden und dafür neue Formen der Kontrolle (z. B. Berichterstattungen, Anhörungen, Expertengespräche etc.) und der Öffentlichkeitsarbeit (z. B. Parlamentskanal, Infobrief, Internetforen) in der transnationalen Politik entwickelt.
Eva Voß (EV)
Dr., Politikwissenschaftlerin, Senior Referentin für Diversity Management bei der Bertelsmann AG.
Rubrizierung: 2.2 | 2.21 | 2.321 | 2.32 | 5.41
Empfohlene Zitierweise: Eva Voß, Rezension zu: Marcus Obrecht: Niedergang der Parlamente? Würzburg: 2006, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/21518-niedergang-der-parlamente_30998, veröffentlicht am 25.06.2007.
Buch-Nr.: 30998
Inhaltsverzeichnis
Rezension drucken
Dr., Politikwissenschaftlerin, Senior Referentin für Diversity Management bei der Bertelsmann AG.
CC-BY-NC-SA