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/ 05.06.2013
Günther Schaub

Politische Meinungsbildung in Deutschland. Wandel und Kontinuität der öffentlichen Meinung in Ost und West

Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 1998; 192 S.; brosch., 29,80 DM; ISBN 3-8012-0271-2
Schaub, ehemals Projektleiter bei Sinus in München, heute freiberuflich tätiger Sozialforscher, untersucht im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung die politischen Einstellungen der Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland auf Grundlage der Befragung von fast 6.000 Personen. Die Erhebungen führte die Gesellschaft für Politik- und Sozialforschung in München (POLIS) in drei Wellen Anfang 1996, Ende 1996 und Mitte 1997 durch. Sie waren teilweise als Trend, teilweise als Panel konzipiert: In Westdeutschland wurden 1.900 Personen zweimal und 1.188 sogar dreimal befragt, in Ostdeutschland waren dies 1.076 bzw. 481 Personen. Die abgefragten Variablen bezogen sich u. a. auf Wahlverhalten und Parteipräferenz, Bedeutung von Politik und politisches Interesse, politische Kommunikation und Meinungsbildung, Normen und Werte, politische Grundhaltung, aktuelle politische und wirtschaftliche Probleme und Lösungsansätze sowie auf das Image und die Glaubwürdigkeit von Organisationen, Einrichtungen und Personen des öffentlichen Lebens. Die Konzeption als Panel "ermöglicht die detaillierte Analyse von Kontinuität und Wandel der politischen Meinungen und Einstellungen, der Verhaltensweisen und Lebensumstände der Deutschen in West und Ost" (9). Auf die Panelerhebung stützt sich Schaub vor allem bei der Analyse des Wahlverhaltens bzw. der Parteipräferenz. Er kommt zu dem Ergebnis, daß "der 'Wählermarkt' erheblich flexibler ist, als gemeinhin angenommen wird" (65). (Ein Resultat übrigens, welches sich nicht mit dem von Richard Stöss, Stabilität im Umbruch [siehe ZPol 1/98: 272], deckt, wonach die Stabilität unter den Parteianhängern/Wählern größer ist als vermutet.) Sowohl die CDU/CSU als auch die SPD verfügten innerhalb ihrer Anhängerschaft lediglich zu einem Fünftel über einen stabilen Unterstützerkreis. Ostdeutsche neigten deutlich eher zur Parteiuntreue, die sich zumeist erst in der Nichtteilnahme an Wahlen äußere. Allerdings ist die Validität der Ergebnisse im Detail aufgrund des Erhebungszeitraums, welcher genau zwischen zwei Bundestagswahlen liegt, und methodischer Probleme - hier insbesondere die durch für Panelbefragungen typischen hohen Mortalitätsquoten verursachten Verzerrungen - in Frage zu stellen. Dies räumt der Autor auch ein, es wird über dies dadurch unterstrichen, daß bei rund 10 % der Befragten im Osten eine Parteipräferenz für Die Grünen/Bündnis 90 festgestellt wird (33). Somit lassen sich Erkenntnisse besser nur hinsichtlich von Trendbewegungen oder aus dem Vergleich West-Ost herausfiltern. Dann aber fallen die Ergebnisse, zum Beispiel jenes, wonach die CDU insbesondere im Osten "ihr Vertrauen und ihren Kredit verspielt [hat], weil die versprochenen blühenden Landschaften ausgeblieben sind und sich statt dessen dauerhafte Massenarbeitslosigkeit breitgemacht hat" (67), nicht immer gerade überraschend aus. Den weitaus größeren Teil des Buches nehmen jedoch die mehr auf Trend- als auf Panelbefragung beruhenden Analysen der Einstellungen und Meinungen jenseits der Parteipräferenzen ein. Hier finden sich, durch übersichtliche Tabellen und Grafiken zusätzlich prägnant veranschaulicht, Erkenntnisse über die politischen Einstellungen und Grundhaltungen - wobei die Aufgliederung von Ost und West stets einen schnellen Vergleich der Meinungen in beiden Teilen Deutschlands ermöglicht. So erfährt die Leserschaft beispielsweise, daß Ostdeutsche häufiger über das Geschehen in der Politik reden als Westdeutsche oder die Forderung "Deutsche Staatsangehörigkeit für in Deutschland geborene Ausländerkinder" unter der Bevölkerung mehrheitlich klare Zustimmung erfährt, im Osten etwas mehr als im Westen. Mit seiner Fülle an Daten bietet sich das Buch besonders als Nachschlagewerk an. "Neulinge" auf dem Gebiet der Wahlforschung erhalten zudem eine Reihe erläuternder Hinweise zu methodischen Problemen.
Detlef Lemke (Le)
Dipl.-Politologe.
Rubrizierung: 2.3332.352.37 Empfohlene Zitierweise: Detlef Lemke, Rezension zu: Günther Schaub: Politische Meinungsbildung in Deutschland. Bonn: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6461-politische-meinungsbildung-in-deutschland_8772, veröffentlicht am 01.01.2006. Buch-Nr.: 8772 Rezension drucken
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