/ 11.06.2013
Heinz Lynen von Berg
Politische Mitte und Rechtsextremismus. Diskurse zu fremdenfeindlicher Gewalt im 12. Deutschen Bundestag (1990-1994)
Opladen: Leske + Budrich 2000 (Forschung Politikwissenschaft 72); 328 S.; kart., 64,- DM; ISBN 3-8100-2671-9Diss. FU Berlin; Gutachter: W.-D. Narr. - Auf der Basis einer quantitativ abgesicherten diskursanalytischen Auswertung von etwa 250 Redebeiträgen diskutiert der Verfasser die Reaktionsmuster der Bundestagsfraktionen auf die fremdenfeindliche Gewalt beziehungsweise den Rechtsextremismus. Zeitlich konzentriert sich die Untersuchung auf die erste Legislaturperiode des gesamtdeutschen Bundestags (1990-1994), während der die fremdenfeindliche Gewalt ihre bisherigen Höchstwerte erreicht hat, hinsichtlich der Akteure auf die Bundesregierung und die Unionsfraktion einerseits sowie die SPD-Opposition andererseits. Die Beschränkung auf die beiden großen Fraktionen liegt in der titelgebenden Leitfrage nach dem Interaktionssystem von politischer Mitte - hier verstanden im Sinne der Selbstdefinition von CDU/CSU und SPD - und Rechtsextremismus begründet. Die Auseinandersetzung mit Erscheinungsformen des Rechtsextremismus gibt in dieser Betrachtung zugleich Auskunft über das Selbstverständnis der politischen Mitte und im Weiteren über den Zustand der bundesdeutschen Demokratie. Unterschiede in der Problembearbeitung und -interpretation von SPD und Union konstatiert Lynen von Berg insbesondere beim Bezug auf die Erfahrungen des Nationalsozialismus und bei der Ursachenbestimmung. So diagnostiziere die Union eine Schwächung des Rechtsstaats, schwindendes Rechtsbewusstsein und einen vom politischen Gegner mit verursachten Werteverfall. Demgegenüber verweise die SPD vorwiegend auf soziale Problemlagen, die von der bürgerlichen Regierungskoalition zu verantworten seien, und ihre Abgeordneten stellten häufiger Analogien zur Weimarer Republik und zum Dritten Reich her. Dem Macht- und Staatsräsondiskurs der Regierungsseite stehe ein bei wichtigen Entscheidungen wie dem "Asylkompromiss" allerdings folgenloser Moral- und Sozialdiskurs der Sozialdemokraten gegenüber. Insgesamt dominiere bei beiden parlamentarischen Akteuren eine von der Parteienkonkurrenz bestimmte, instrumentalistische und letztlich unterkomplexe Befassung mit dem sensiblen Thema. Bei seiner abschließenden parlamentstheoretischen Einordnung der Analyseergebnisse grenzt sich der Autor vom Mainstream der Forschung ab, indem er die Defizite der Problembearbeitung als dem parlamentarischen System inhärent charakterisiert und dessen zentrale Akteure dafür mit verantwortlich macht. Bei aller Berechtigung dieser Kritik im Einzelnen entsteht gelegentlich der Eindruck, das Bundestagsplenum solle auf eine wissenschaftliche Problemanalyse verpflichtet werden.
Michael Edinger (ME)
M. A., wiss. Mitarbeiter, Sonderforschungsbereich 580, Universität Jena (www.uni-jena/svw/powi/sys/edinger.html).
Rubrizierung: 2.321 | 2.35 | 2.37
Empfohlene Zitierweise: Michael Edinger, Rezension zu: Heinz Lynen von Berg: Politische Mitte und Rechtsextremismus. Opladen: 2000, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/12153-politische-mitte-und-rechtsextremismus_14506, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 14506
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M. A., wiss. Mitarbeiter, Sonderforschungsbereich 580, Universität Jena (www.uni-jena/svw/powi/sys/edinger.html).
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