/ 04.12.2014
Berthold Unfried
Vergangenes Unrecht. Entschädigung und Restitution in einer globalen Perspektive
Göttingen: Wallstein Verlag 2014; 541 S.; geb., 46,- €; ISBN 978-3-8353-1531-0Neben der juristischen Aufarbeitung bildet die (materielle und immaterielle) Wiedergutmachung einen zweiten Pfeiler der Beschäftigung mit der Vergangenheit in postdiktatorischen Gesellschaften. Nach dem Ende des Ost‑West‑Konfliktes kam es hier insbesondere in den Transformationsstaaten in Ostmittel‑ und Osteuropa zu der Besonderheit, dass sich entsprechende Politiken nun einerseits der eben überwundenen kommunistischen Diktatur widmen mussten, sich andererseits zudem auf die mehr als vierzig Jahre zurückliegende NS‑Diktatur bezogen. Auch eher westlich orientierte Staaten wie Österreich, die Schweiz und Frankreich beteiligten sich bald an der sogenannten Millenniumsentschädigungsrunde, bei der es um Fragen von Restitution und Ausgleich ging. Berthold Unfried, Historiker an der Universität Wien, gehörte einer vom österreichischen Staat eingesetzten Kommission zur Bearbeitung solcher Fragen an. Sein Buch ist in diesem Sinn auch eine engagiert‑kritische, bisweilen streitbare Auseinandersetzung mit der eigenen Tätigkeit im Speziellen und den Grundlagen historischen Arbeitens in solchen Expertenkommissionen im Allgemeinen. Als Quellengrundlage dienen ihm Archivmaterialen, Interviews mit Beteiligten, Kommissionsberichte und die jüngere Literatur, die für ihn jedoch häufig einen wissenschaftlich‑analytischen Zugang vermissen lässt (für ein Gegenbeispiel siehe Buch‑Nr. 42553). Entgegen der moralisch argumentierenden offiziellen Begründungen für Wiedergutmachung konstatiert Unfried, dass häufig materielle und/oder politische Interessen der Ausgangspunkt für entsprechende Unternehmungen seien. Die in seinen Fallbeispielen hauptsächlich herangezogenen Länder Österreich und Frankreich – die im Untertitel angedeutete globale Perspektive wird nicht immer eingelöst – hätten in diesem Kontext „eine Version“ des von den USA etablierten „erinnerungspolitischen transatlantischen Holocaust‑Bezugs angenommen“ (506) (siehe auch Buch‑Nr. 17660), vielfach sei ein „Entschädigungsbusiness“ (508) entstanden. Aufseiten der Historiker dominierte vielfach eine „[i]nteressengeleitete anwendungsorientierte Recherche zu Einzelfällen […] über analytische Forschung“ (34). Mit seiner thesenstarken, oft provokanten Darstellung lädt Unfried zu einer weiteren Debatte ein.
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Rubrizierung: 2.23 | 2.21 | 5.2 | 2.263 | 2.4 | 2.5 | 2.61 | 2.35 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Berthold Unfried: Vergangenes Unrecht. Göttingen: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/37865-vergangenes-unrecht_46148, veröffentlicht am 04.12.2014. Buch-Nr.: 46148 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA