/ 17.06.2013
Daniel Levy / Natan Sznaider
Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust
Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2001 (Edition Zweite Moderne); 254 S.; brosch., 18,- €; ISBN 3-518-41283-3In der Wahrnehmung der Anhänger der (von dem Soziologen Ulrich Beck verfochtenen) so genannten "Zweiten Moderne" - die der auf lineare Rationalitätsmuster fixierten Ersten ("industriegesellschaftlichen") Moderne entgegengesetzt ist - erscheint kollektive Erinnerungsarbeit bisher noch sehr stark an eine nationale bzw. nationalstaatliche Perspektive gebunden. Unter ausdrücklicher Berufung auf das Konzept der Zweiten Moderne untersuchen die beiden Autoren den von Globalisierungsprozessen erzeugten Wandel von nationalen zu kosmopolitischen Erinnerungskulturen; im Mittelpunkt des Buches steht der Umgang mit dem Holocaust - an ihm entwickeln die Verfasser ihre leitende These, "daß Erinnerungen an den Holocaust in einer Epoche ideologischer Ungewißheiten zu einem Maßstab für humanistische und universalistische Identifikationen werden" (10). Diese starke Behauptung setzt einerseits einen ambitionierten Begriff von Globalität als kulturellen Horizont voraus, auf den sich lokale Sichtweisen jeweils spezifisch beziehen können. Andererseits sehen die Autoren gerade in der "Amerikanisierung des Holocaust" - also der mithilfe der Populärkultur betriebenen Vermittlung (z. B. "Schindlers Liste" von Steven Spielberg) einschlägiger Symbole - einen Vorgang, der das Geschehen aus partikularen Kontexten löst und es als moralische Erzählung über Opfer und Täter universal verfügbar macht: "Damit ist der Holocaust zu einem universalen 'Container' für Erinnerungen an unterschiedliche Opfer geworden." (223).
Inhaltsübersicht: 1. Globalisierung und kollektives Gedächtnis; 2. Die Zweite Moderne öffnet den Raum für kosmopolitische Gedächtnisse; 3. Judentum, Entortung und Alterität; 4. USA, Deutschland und Israel als empirische Beispiele; 5. Phasen der Erinnerung. I. Das kosmopolitische Gedächtnis: 1. Globale Repräsentationen; 2. Der Einfluß der Glokalisierung auf das historische Zeitverständnis; 3. Das kollektive Gedächtnis im Zeitalter der mechanischen Repräsentation; 4. Pluralisierung von Erinnerungen; 5. Medienereignisse und die technischen Bedingungen der Globalisierung. Holocaust und Diaspora: 1. Holocaust: Produkt oder Krise der Moderne?; 2. Kosmopolitismus und jüdische Opfer; 3. Die Diaspora als jüdische Perspektive; 4. Enttabuisierung des Holocaust. II. Die Nachkriegsjahre: 1. Verdrängung oder selektive Erinnerung?; 2. Erinnerung an Anne Frank; 3. Politische Versöhnung in Deutschland; 4. Der Holocaust als Maßstab des eigenen Leidens; 5. Vergleichendes Opfertum; 6. Die Konsum-Nation; 7. Holocausterinnerungen in Israel; 8. Amerikas Holocausterinnerung in den fünfziger Jahren. Debatten und Reflexionen: 1. Die Zentralität der Holocaustopfer; 2. Von deutschen Opfern zu den Opfern der Deutschen; 3. Eichmann in Jerusalem; 4. Amerika entdeckt den Holocaust; 5. "Holocaust" als Medienereignis; 6. Der Holocaust als Geschichtspolitik. III. Die Kosmopolitisierung der Holocausterinnerung: Holocaust zwischen Musealisierung und Aktualisierung: 1. Die "Universalisierung des Bösen"; 2. Die Amerikanisierung des Holocaust als moralischer Imperativ; 3. Die USA und die Musealisierung der Holocausterinnerungen; 4. Der Streit über das Partikulare und das Universelle: Die Goldhagen-Debatte; 5. "Kosovocaust"; 6. Zweite Moderne und "distanziertes Mitleid"; 7. Das Holocaust-Forum in Stockholm und die Folgen; 8. Reflexive Erinnerungen. Die Folgen der kosmopolitischen Erinnerung.
Thomas Mirbach (MIR)
Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 2.23 | 2.35 | 2.25
Empfohlene Zitierweise: Thomas Mirbach, Rezension zu: Daniel Levy / Natan Sznaider: Erinnerung im globalen Zeitalter: Der Holocaust Frankfurt a. M.: 2001, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/15497-erinnerung-im-globalen-zeitalter-der-holocaust_17660, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 17660
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Dr., wiss. Mitarbeiter, Lawaetz-Stiftung Hamburg, Lehrbeauftragter, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
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