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Tagungsbericht / 21.11.2025

Konferenz des Zentrums Liberale Moderne: Liberalismus zwischen Furcht, Verlangen und Hoffnung

Foto: Zentrum Liberale Moderne
Foto: Zentrum Liberale Moderne

Dass sich der Liberalismus in einer Krise befindet und seine Vorherrschaft bald der Vergangenheit angehören wird, ist zuletzt vielfach diagnostiziert worden. Um die Frage zu klären, was uns der Liberalismus heute zu sagen hat, veranstaltete die Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne eine Konferenz in Berlin. Nikolai Ott sieht aus liberaler Perspektive ermutigende Signale, aber auch die Gefahr des „Slop-Liberalismus“. 

Ein Tagungsbericht von Nikolai Ott

In seinem Leviathan hatte Thomas Hobbes bekanntermaßen schon vor rund 370 Jahren diagnostiziert, dass sich der Mensch aus seinen „Ketten der Angst“ nur durch die Paarung von Furcht, Verlangen und Hoffnung befreien könne.[1] In gewisser Weise könnte sich dieses begriffliche Trias auch als genau der Therapieansatz verstehen lassen, den die deutsche Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne (LibMod) für ihre „Rethinking Liberalism“-Konferenz vom 4. November 2025 auserkoren hatte. Mit der Furcht vor dem postliberalen Backlash, dem Verlangen nach neuen Antworten und der Hoffnung auf eine liberale Erneuerung sollten ausgerechnet in der – mittlerweile recht leeren – Bundesgeschäftsstelle der FDP die Liberalen in allen Parteien den Liberalismus auf seine Gegenwartsfähigkeit abklopfen.

Dass es eine „zeitgemäße Aktualisierung“ des Liberalismus brauche, hatte LibMod-Geschäftsführer und Gründer Ralf Fuecks bereits in seiner Eröffnungsrede wiederholt eingefordert. Nach dem Ende vom Ende der Geschichte[2] sehe man sich nun einer „antiliberalen Gegenrevolution“ ausgesetzt, die von innen und außen die liberale Demokratie unterwandere. Im Äußeren erlebe man die Rückkehr einer autoritären Achse[3] (von China bis Russland), während sich im Inneren neue „starke Männer“ mit „libertärer Rhetorik“ als wahre „Retter der Freiheit“ positionierten. Gerade jener innenpolitische Backlash müsse aber auch als Leerstelle des Liberalismus verstanden werden, der zu lange die blinden Flecken der eigenen Ideologie (von „Globalisierung, Deregulierung bis Diversity“) ausgeblendet hatte. Anstatt aus dieser Gegenwartsbeschreibung in eine falsche Passivität zu verfallen, gehe es nun um die Rückgewinnung der liberalen Deutungshoheit, wonach ein „zeitgemäßer Liberalismus“ Antworten auf die „großen Fragen unserer Zeit“ finden müsse.

Liberalismus-interne Konfliktstilllegung

Dass man vor diesem eigens formulierten Anspruch aber erstmal im eigenen Lager die Reihen schließen müsse, sollte das erste Panel zeigen. Unter dem Überthema „zum Spannungsverhältnis von politischer und ökonomischer Freiheit“ hatten neben erwähntem Ralf Fuecks, mit Lars Feld (Walter–Eucken–Institut), Jan Schnellenbach (BTU Cottbus–Senftenberg) und Karen Horn (Universität Erfurt) ausschließlich Ökonom*innen die nicht ganz einfache Aufgabe, diesen – möglicherweise vermeintlichen – Widerspruch aufzulösen. Es ging also um die Quadratur des Kreises, ein Big Tent des Liberalismus zu konstruieren und gleichermaßen einen Liberalismus–internen Streit auszuhalten, ohne dieses fragile Bündnis zu gefährden.

Karen Horn hatte hierfür zu Beginn im Rückgriff auf Isaiah Berlins Wertepluralismus eigentlich eine gute Grundlage geliefert, wonach der/die Liberale um die Konflikte des menschlichen Daseins wisse, die auch den Liberalismus zwischen seinem republikanischen und wirtschaftlichen Erbe betreffen. Während Horn aus dem Wissen um Konflikte die notwendige Suche nach Balance ableitete, sollte man mit Blick auf das Panel stellenweise den Eindruck gewinnen, dass die erzwungene Balance auf Kosten des Streits ging. Jede*r durfte anschließend seine eigene Definitionen des Liberalismus erläutern, die sich vom amerikanischen „Life, Liberty and the pursuit of Happiness" bei Schnellenbach bis zur Synthese von „Stabilität und dynamischer Veränderung“ bei Fuecks erstreckte. So konnte zwar ein Minimalkonsens – dass sich politische und ökonomische Freiheit nicht trennen lassen – erschlossen werden, dessen mögliche Widersprüche aber in der Sorge vor Dissens teilweise unbeachtet blieben.

Mit einem weiteren, auch an diesem Abend viel zitierten, Liberalen Ralf Dahrendorf ließe sich anmerken, dass Konflikte – auch Liberalismus–intern – ein fortschrittliches Potenzial enthalten[4], das stellenweise ungenutzt blieb. Dass sich der zentrale Zwist des Panels ausgerechnet an der Herausforderung durch den chinesischen Autoritarismus entzündete, war wiederum gleichermaßen interessant wie aufschlussreich. Ein weiterer äußerer Feind, das ahnte schon Ulrich Beck[5], müsste doch eigentlich eine Chance sein, die politische Spaltung im Inneren zu unterdrücken? Doch während Ralf Fuecks im Aufstieg des chinesischen Systemkonkurrenten auch eine Lehre für Liberale erblickte, wonach eine plumpe Ablehnung jeglicher Industriepolitik unzeitgemäß sei, wollten die Ordoliberalen Schnellenbach und Feld hiervon nicht viel wissen. Für das deutsche Wirtschaftsmodell, das „bottom–up“ und nicht „top–down“ (Schnellenbach) funktioniere, wäre China als Lehrmeister ungeeignet – viel mehr brauche es nun eine Diversifizierung von Handelspartnern. Deutlich wurde so oder so, dass im Zeitalter der Geoökonomie schon jetzt unangenehme Debatten auf den Liberalismus warten.

Wie hältst du es mit dem Neoliberalismus?

Erfrischend kontrovers(er) sollte es nach der Mittagspause weitergehen, da mit Karolina Wigura (Zentrum Liberale Moderne) und Thomas Biebricher (Goethe–Universität Frankfurt am Main) zwei meinungs– und publikationsstarke Intellektuelle aufeinandertrafen. Wo man sich im Panel zuvor noch auf einen (neo)liberalen Minimalkonsens geeinigt hattte, stand nun plötzlich der Neoliberalismus als solcher zur Disposition. Während Wigura erklärte, dass man am Ende der Globalisierungserzählung konstatieren müsse, dass der Neoliberalismus praktisch tot sei, wollte Biebricher diese Untergangserzählung nicht gänzlich übernehmen. Zwar sei die globalisierende „Verflachung der Welt“ in der Tat an ihrem Ende, aber der Neoliberalismus habe sich unlängst auf verschiedene Ebenen sublimiert. Eine interessante These, wonach die Gleichzeitigkeit des trumpschen Protektionismus und der DOGE–Deregulierung als Ausdruck einer neoliberalen Verschiebung von einem internationalen in ein nationalliberales Paradigma verständlich wird. Das Ende der Globalisierung könnte also gleichermaßen eine Rechtfertigung mitliefern, die wirtschaftliche Liberalisierung im Inneren voranzutreiben.

Schon hier deutete sich an, dass Wigura und Biebricher eine unterschiedliche Narration des Neoliberalismus, zwischen Emanzipation und Rückschritt, vorbrachten. Die polnische Intellektuelle, die gewissermaßen einen mitteleuropäischen Liberalismus vertrat, erinnerte daran, dass im Kalten Krieg der Neoliberalismus insbesondere in Osteuropa eine fortschrittliche Gegenerzählung zum Kommunismus verkörperte. Biebricher deutete wiederum an, dass in der euckenschen Forderung nach einer „Konstanz der Wirtschaftspolitik“ jederzeit der autoritäre Keim des Liberalismus sprießen könne. Eine Provokation, die an die Ordoliberalen im Publikum adressiert war, die aber sichtlich keine Lust auf eine solche Diskussion hatten.   

Glücklicherweise versteiften sich die beiden aber nicht nur auf den altbekannten Deutungskampf um den Neoliberalismus, sondern diskutierten grundsätzlichere Fragen. Wigura erinnerte an die „alte Theorie der Ideengeschichte“, dass jede „Epoche eine dominierende Emotion“ habe und fügte aus ostmitteleuropäischer Perspektive an, dass man gegenwärtig vor allem ein „Verlustgefühl“[6] beobachte. Biebricher hatte schon zuvor angedeutet, dass der Liberalismus mit seinen Vorbehalten gegenüber – oft irrationalen – Emotionen brechen müsse, um die Gesellschaft zu verstehen. Man könnte an dieser Stelle von der emotionalen Komponente des Böckenförde–Diktums sprechen, wonach der Liberalismus am Ende des Tages eben nicht von Außenhandelsbilanzen, sondern von Menschen lebt. Wer es nicht schafft, den subjektiven Verlusterfahrungen der Gegenwart auf Augenhöhe zu begegnen und mit einer liberalen Gegenerzählung zu antworten, schafft fraglos einer antiliberalen Wende Vorschub. 

Parteipolitische Schuldzuschreibungen

Weil es in diesem facettenreichen Gespräch aber um das liberale Innenleben gehen sollte, blieben antiliberale Alternativen, wie der Postliberalismus, bemerkenswerterweise unerwähnt. Als Antwort auf eine Frage aus dem Publikum konnten sich Wigura und Biebricher zumindest darauf einigen, dass der rechte Postliberalismus zu einer neuen Annäherung von Liberalen und Linken führen könne. Die Widersprüche jener Approximation konnte man anschließend im zweiten Panel des Tages mit Sabine Doering (Eberhard–Karls–Universität Tübingen), Johannes Winkel (CDU), Franziska Brantner (Bündnis90/GRÜNE) und Tim Krieger (Universität Freiburg) beobachten. Schon die prominente politische Besetzung ohne FDP machte deutlich, dass es hier nicht nur um das proklamierte Überthema „Aktuelle Herausforderungen der liberalen Demokratie“, sondern auch um das Austarieren einer neuen politischen Heimat der Freiheit gehen würde.

Die politische Spurensuche nach den Ursachen der Krise der liberalen Demokratie nutzten Winkel und Brantner geschickt, um jeweils den blinden Fleck der anderen Seite verantwortlich zu machen. Für die Parteivorsitzende der Grünen sei das schlechte Image des Liberalismus auch auf eine neoliberale Verengung der letzten Jahrzehnte zurückzuführen, die „Eigenverantwortung ohne Gemeinsinn“ zentriert habe. Der Vorsitzende der Jungen Union konterte, durchaus ironisch, dass der Linksliberalismus der Grünen durch ihren Fokus auf Identitäten wiederum mit dem emanzipatorischen Erbe der 68er–Bewegung gebrochen hätte. Auch dies waren keine neuen Erkenntnisse, hatte Francis Fukuyama doch schon 2022 postuliert, dass der Liberalismus sowohl in wirtschaftlichen wie in identitätspolitischen Fragen über sein Ziel hinausgeschossen sei.[7] Für die rechten und linken Vertreter des politischen Liberalismus schien es allerdings unmöglich, diese Krise in ihrer Dualität zu begreifen, und so mäanderte das Gespräch stellenweise im Deutungskampf um Gendersterne oder Bürokratieabbau. Die klugen Interventionen von Doering und Krieger gingen dabei tragischerweise eher unter.

Wie entkommt man dem Slop-Liberalismus?

Mit welchem Gefühl des hobbes‘schen Paradigmas verließ man die Tagung also– Furcht, Verlangen oder Hoffnung? Aus liberaler Perspektive ist ermutigend, dass die breite liberale Familie zumindest noch für gut organisierte Veranstaltungen (in Berlin) zusammenkommt. Das Verständnis, dass ein solches Zusammenkommen mehr als nur ein Treffen unter Freunden, sondern ein Reformimpuls sein müsse, war ebenso klar erkennbar. Und zuletzt zeigte die Siegerehrung des Essaypreises „Wirtschaft und Demokratie“ (zusammen mit Wirtschaftswoche, Hertie–Stiftung und Prognos AG), dass mit Armin Schäfer (Universität Mainz), Matti Otten (TU Dresden) und Nora Kürzdorfer (Münchner Sicherheitskonferenz) die Krise der liberalen Demokratie auch alte wie neue Gesichter intellektuell umtreibt.

Gleichermaßen verkörperte die Konferenz an manchen Stellen das, was Alexander Schwitteck kürzlich als „Slop–Liberalismus“ bezeichnet hat.[8] Das mantraartige Postulieren einer „Krise des Liberalismus,“ auf die man aber ebenso mantraartig mit den immer gleichen Rezepten antwortet. Eine erneute (bessere) Rezeption von Rawls oder Mills, so wie ein Aufruf nach neuen liberalen Erzählungen, bei denen man aber selten konkret wird, oder einfach die Forderung nach einer noch wehrhafteren Demokratie. Das mag temporär das eigene Lager zusammenhalten, aber wird wohl schwerlich einem radikal veränderten Zustand der Welt gerecht. Die gute Nachricht ist, dass die „Rethinking Liberalism“–Konferenz der Startschuss für ein größeres vom BMFTR–gefördertes Verbundprojektes verschiedener Institutionen war, das bis 2029 eine Schriftenreihe zu den „Vordenkern der liberalen Moderne“ anfertigen soll. Ein ambitionierter Rahmen, der Raum für konkrete Weiterentwicklung eröffnet. Ob man sich dabei aus dem Griff des „Slop–Liberalismus“ befreien kann, wird sich zeigen. Es wäre angesichts der Herausforderungen wohl dringend notwendig.


Anmerkungen:

[1] Hobbes, Thomas (1970): Leviathan: erster und zweiter Teil. Ditzingen: Reclam, S. 118.

[2] Fukuyama, Francis (1989): “The End of History?”, in: The National Interest 16, S. 3–18.

[3] Applebaum, Anne (2024): Die Achse der Autokraten: Korruption, Kontrolle, Propaganda: wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten, München: Siedler.

[4] Vgl. Dahrendorf, Ralf (1972): Gesellschaft und Demokratie in Deutschland. München: Piper.

[5] Beck, Ulrich (1993): “Der feindlose Staat,” in: Die Zeit, https://www.zeit.de/1992/44/der–feindlose–staat [letzter Zugriff: 17.11.2025].

[6] Vgl. Kuisz, Jaroslaw und Wigura, Karolina (2023): Posttraumatische Souveränität: ein Essay über Ostmitteleuropa, Deutsche Erstausgabe, Berlin: Suhrkamp.

[7] Siehe Fukuyama, Francis (2023): Der Liberalismus und seine Feinde, 1. Auflage, Hamburg: Hoffmann & Campe.

[8] Vgl. Schwitteck, Alexander (2025): „Wider dem Slop–Liberalismus”, in: ævum, https://www.aevumquarterly.de/alexander–schwitteck–wider–dem–slop–liberalismus [letzter Zugriff: 17.11.2025].



DOI: https://doi.org/10.36206/TB25.4
CC-BY-NC-SA