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/ 10.07.2014
Martin Sabrow

Zeitgeschichte schreiben. Von der Verständigung über die Vergangenheit in der Gegenwart

Göttingen: Wallstein Verlag 2014; 290 S.; geb., 24,90 €; ISBN 978-3-8353-1433-7
Ein Drittel des Marktes für historische Bücher wird heute von zeitgeschichtlichen Arbeiten bestimmt – in den 1950er‑Jahren gehörte nur jede zehnte Veröffentlichung in diesen Bereich. Der Boom der Zeitgeschichte geht einher mit einer wachsenden Pluralität von Themenfeldern, Akteuren und Methoden. Mit Martin Sabrow legt einer der profiliertesten deutschen Zeithistoriker eine Sammlung vor, die vierzehn eigene Beträge zum Thema enthält, von denen zwei Drittel in den vergangenen drei Jahren in wissenschaftlichen Sammelbänden veröffentlicht wurden. In drei Abschnitten sollen sie den „Platz der Zeitgeschichte als Wissenschaft“ verorten und die „Formungskräfte“ der „Schreibweisen“ (10) der Disziplin herausarbeiten. Dabei wird schnell deutlich, dass die Zeitgeschichte ein „Teil dessen [ist], was sie ergründen will“ (7). Damit einher geht die Tatsache, so Sabrows Hinweis, dass sie als Instrument, als Legitimationsressource ge‑ und missbraucht werden kann. Nicht immer würden entsprechende Anforderungen von außen an das Fach herangetragen – gerade in diktatorischen und autokratischen Regimen sei oft eine Selbstinstrumentalisierung von Wissenschaftlern für politische Zwecke zu verzeichnen. Aber auch in demokratischen Staaten zeigten sich in analytischer Hinsicht entsprechende Tendenzen, wie sich am Aufarbeitungsparadigma der Bundesrepublik ablesen lasse: Die „gesellschaftliche Kodifizierung historischer Erkenntnisse [macht] Geschichte zum Instrument außerfachlicher Zwecke“ (23). Am Beispiel der „Zeithistorie als Disziplin zur Diktaturaufarbeitung“ (134) ließen sich allgemeine Entwicklungslinien wie eine Ausweitung des Gegenstandsfeldes, die hohe Bedeutung der Zeitzeugenschaft und der wachsende Einfluss von Nicht‑Fachwissenschaftlern wie Print‑ und TV‑Journalisten nachvollziehen. Gerade die durch Zeitzeugen vermittelten Zugänge zu Geschichte gehörten heute zu den Hauptdeutungsmustern. Dabei sei vielfach der ursprünglich kritische Zugang – im Sinn einer „demokratische[n] Gegenerzählung ‚von unten‘“ – durch affirmative Darstellungsweisen einer „illustrative[n] Funktion“ (206) ersetzt worden.
Martin Munke (MUN)
M. A., Europawissenschaftler (Historiker), wiss. Hilfskraft, Institut für Europäische Studien / Institut für Europäische Geschichte, Technische Universität Chemnitz.
Rubrizierung: 5.22.35 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Martin Sabrow: Zeitgeschichte schreiben. Göttingen: 2014, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/37282-zeitgeschichte-schreiben_45755, veröffentlicht am 10.07.2014. Buch-Nr.: 45755 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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