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/ 17.12.2015
Frank Bösch (Hrsg.)

Geteilte Geschichte. Ost- und Westdeutschland 1970-2000

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2015; 491 S.; 34,99 €; ISBN 978-3-525-30083-1
Der Sammelband knüpft an eine Reihe von jüngeren Studien an, die die deutsch‑deutsche Geschichte nach 1945 unter einem kontrastierenden und vergleichenden Blickwinkel untersuchen (siehe etwa Buch‑Nr. 44675). Der Titel bezieht sich auf die Wahrnehmung einer nicht getrennten, sondern geteilten und damit gemeinsamen Geschichte (shared history). Der Schwerpunkt liegt hier auf der Untersuchung sozialhistorischer Phänomene ab den 1970er‑Jahren – der Zeit „nach dem Boom“ (siehe Buch‑Nr. 35334). In den Blick gerät der „Wandel sozialer Strukturen in Ost und West – […] der Arbeit, der Wirtschaft und sozialen Lagen, der Bildung, der Lebenswelten und des Politischen oder auch der Umwelt, des Sports und der Medien“ (8). Der zeitliche Rahmen wird dabei auf das erste Jahrzehnt des vereinigten Deutschlands erweitert. Der Band hebt sich so von vergleichbaren Vorhaben ab. Es gelingt, längerfristige Entwicklungsprozesse herauszuarbeiten, die auf aktuelle Geschehenszusammenhänge verweisen und deren historische Bezüge instruktiv verdeutlicht werden. Dazu zwei Beispiele: Die Potsdamer Wirtschaftshistoriker Ralf Ahrens und André Steiner arbeiten heraus, dass wirtschaftliche Krisenerscheinungen in West‑ und Ostdeutschland in den 1970er‑Jahren auf ähnliche Ursachen in der Wiederaufbauphase nach 1945 zurückgingen. Die Reaktionen darauf und die weitere Entwicklung unterschieden sich zwar stark. In der Folge waren dann „auch die wirtschaftlichen Umbrüche nach dem Zusammenbruch des Ostblocks noch in hohem Maße von jenem langfristigen Strukturwandel geprägt […], der sich in den vorangehenden Jahrzehnten verdichtete“ (79). Die Produktionsentwicklung ist dabei bis heute in den östlichen Bundesländern unter dem westlichen Niveau geblieben. Die Leipziger Kulturhistorikerin Maren Möhring befasst sich mit Aspekten räumlicher Mobilität in und zwischen Ost und West. Die auch angesichts der aktuellen Flüchtlingskrise virulenten Kosten‑Nutzen‑Erwägungen verortet sie in einem größeren Kontext, der diese als „historische Konstante“ (409) ausweist – zumal gerade in der unmittelbaren Nachwendezeit deutsch‑deutsche Identitätsprozesse mit den seinerzeitigen Migrationsdebatten kollidierten. Das auch heute thematisierte Muster von „vermeintlich toleranten Westdeutschen und […] rassistischen Ostdeutschen“ (408) fand bereits zu dieser Zeit Verbreitung. Der Übergang in ein anderes Gesellschaftssystem erforderte allerdings von den ehemaligen DDR‑Bürgern strukturell ähnliche Anpassungsleistungen wie von den Migrant_innen.
{MUN}
Rubrizierung: 2.3132.3142.3422.3312.3432.333 Empfohlene Zitierweise: Martin Munke, Rezension zu: Frank Bösch (Hrsg.): Geteilte Geschichte. Göttingen u. a.: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/39211-geteilte-geschichte_47819, veröffentlicht am 17.12.2015. Buch-Nr.: 47819 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
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