/ 04.06.2013
Jürgen Klöckler
Abendland - Alpenland - Alemannien. Frankreich und die Neugliederungsdiskussion in Südwestdeutschland 1945-1947
München: R. Oldenbourg Verlag 1998 (Studien zur Zeitgeschichte 55); VIII, 313 S.; 78,- DM; ISBN 3-486-56345-9Geschichtswiss. Diss. Konstanz; Erstgutachter: L. Burchardt. - Der Titel dieser faszinierenden Studie von Möglichkeiten ist nicht nur wegen der Alliteration gewählt; er bezeichnet zugleich drei unterschiedliche, zum Teil aufeinander aufbauende politische Programme, die alle in den wirren Monaten unmittelbar nach Kriegsende und Beginn der französischen Besatzungszeit im Südwesten virulent waren. Die Forschung hat schon längst mit dem Mythos der scheinbar unausweichlichen Gründung Baden-Württembergs aufgeräumt; Klöckler zeigt jetzt eine verwirrende Vielfalt von Konzepten, die alle für eine kurze Zeit nicht nur durch die Luft geisterten, sondern sogar eine beträchtliche politische Wirksamkeit entfalteten. Am gewaltigsten (und mit räumlich engeren Vorstellungen durchaus kombinierbar) waren "Abendland"-Pläne, die einen katholisch-föderativen europäischen Staatenbund avisierten. Unter "Alpenland" sind separatistische Bestrebungen zu verstehen, die auf ein Zusammengehen süddeutscher Gebiete mit Österreich abzielten, und "Alemannien" endlich kennzeichnet eine Art "Light-Version" hiervon, mit einer Kombination der angeblichen stammesföderalistischen Gebiete. Träger dieser Gedanken waren, wie der Autor detailliert herausarbeitet, durchweg konservativ-katholische Kreise, bürgerliche Intellektuelle und in einem erstaunlichen Ausmaße der mediatisierte Adel der Region. Aber zu dem einen oder anderen Zeitpunkt reichten diese Überlegungen bis weit in die verschiedenen neugegründeten Parteien hinein. Begünstigt wurde die kurze Blüte durch die Unsicherheit der Franzosen darüber, was aus dem Südwesten werden solle. Klöckler kann zeigen, in welchem Maße die Verwirrung und der Mangel an klaren Direktiven aus Paris in den Anfangsmonaten dazu führte, daß französische Verwaltungschefs selbst auf unterer lokaler Ebene auf einmal ihre eigene Politik machen konnten und mußten, was natürlich wiederum in einer Vielzahl von widerstrebenden Ermunterungen resultierte. Erst die klare Absage aus Paris und von de Gaulle an alle Konföderationspläne, egal unter welcher Bezeichnung, beendete faktisch alle Hoffnungen auf die politische Umsetzbarkeit dieser ganz eigenen Neugliederungsdiskussion. Klöckler ist es gelungen, in seiner ganz überwiegend aus unbekannten Quellen gearbeiteten Studie ein Bild des sowohl nüchtern-administrativen wie freischwebend-theoretisierenden Durcheinanders aufzuzeigen, das wegen seiner totalen Erfolglosigkeit dem Blick der Forschung bislang entgangen ist.
Michael Dreyer (MD)
Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
Rubrizierung: 2.313 | 2.325
Empfohlene Zitierweise: Michael Dreyer, Rezension zu: Jürgen Klöckler: Abendland - Alpenland - Alemannien. München: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6021-abendland---alpenland---alemannien_8195, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 8195
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Prof. Dr., Institut für Politikwissenschaft, Universität Jena.
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