/ 05.06.2013
Helmut Schmidt
Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral. Deutschland vor dem neuen Jahrhundert
Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1998; 268 S.; geb., 42,- DM; ISBN 3-421-05150-XSchon seit längerer Zeit liest man vom ehemaligen Bundeskanzler - ähnlich wie von Gräfin Dönhoff - immer wieder Artikel, in denen er den zunehmenden Egoismus und den Mangel an Gemeinsinn in unserer Gesellschaft beklagt. In diesem Buch werden seine Überlegungen zum inneren Zustand der Bundesrepublik in größerer Ausführlichkeit und teils rabiater Deutlichkeit formuliert. Schmidt geißelt die Mutlosigkeit der Deutschen und ihre mangelnde Bereitschaft, sich im Kantschen Sinne ihres Verstandes zu bedienen ebenso wie die unrühmliche Rolle, die die deutschen Funktionseliten derzeit spielen. Das moralische Versagen von Politikern, Managern, Richtern, Ärzten, Lehrern und Professoren ist für ihn ein wesentlicher Grund für die gegenwärtige Krise in Deutschland. Insbesondere die Wirtschaft fordert der Altkanzler mit Nachdruck dazu auf, ihre Verantwortung für das Gemeinwohl als wesentliche Vorbedingung ökonomischen Erfolgs anzuerkennen und daraus die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Schmidt bekennt sich ausdrücklich zur freien Marktwirtschaft, wiederholt aber auch die Warnung des derzeit so verrufenen John Maynard Keynes, wonach der Nihilismus freier Kapitalmärkte Beschäftigung und Wohlergehen zu Nebenergebnissen eines Spielkasinobetriebes werden läßt (97). Nach der Diagnose der Probleme zählt Schmidt acht Felder auf, die besonders der strukturellen Erneuerung bedürfen. Die Durchforstung des Paragraphendschungels gehört ebenso dazu wie die Vereinfachung des Steuersystems, die Senkung der Staatsquote und die Erneuerung der sozialen Sicherungssysteme. Im letzten Teil des Buchs kommt Schmidt dann wieder auf seine Grundthese zurück und fordert erneut die Einübung von Tugenden, die dem Gemeinwohl dienen. Die drei Grundwerte, auf denen Deutschland aufbauen sollte, sind für ihn Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, ergänzt durch "das Prinzip der Verantwortung" (176). Freiheit heißt, Rechte, aber auch Pflichten zu haben. Das Buch endet deshalb auch mit dem Entwurf einer allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten, den Schmidt zusammen mit einer Reihe internationaler Staatsmänner im Rahmen des Inter Action Council entworfen hat und den er als notwendige Ergänzung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen sieht.
Walter Rösch (WR)
M. A., Politikwissenschaftler.
Rubrizierung: 2.3 | 2.37 | 2.342
Empfohlene Zitierweise: Walter Rösch, Rezension zu: Helmut Schmidt: Auf der Suche nach einer öffentlichen Moral. Stuttgart: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/6476-auf-der-suche-nach-einer-oeffentlichen-moral_8789, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 8789
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M. A., Politikwissenschaftler.
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