/ 05.06.2013
Thomas Schlemmer
Aufbruch, Krise und Erneuerung. Die Christlich-Soziale Union 1945 bis 1955
München: R. Oldenbourg Verlag 1998 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 41); VIII, 554 S.; 128,- DM; ISBN 3-486-56366-1Diss. München. - Es sei nicht zuletzt eine "geschickte Selbstdarstellung der Parteizentrale", "dass die CSU heute als ungewöhnlich gut organisierte, in der Bevölkerung tief verankerte Volkspartei gilt, die als dominierende politische Kraft den Strukturwandel Bayerns vom Agrar- zum Industrie- und High-Tech-Land mit Erfolg gestaltet hat. Überdies ist es der CSU, die sich schon früh als 'Staatspartei und Ordnungspartei' verstanden hat, gelungen, sich als einzig legitime Vertreterin bayerischer Interessen zu profilieren." (1) Schlemmer zeigt, dass die Christlich-Soziale Union bei ihrer Gründung im Herbst 1945 keineswegs schon auf dem Weg zur "Staatspartei" gewesen ist, wiewohl die Rahmenbedingungen für die Parteigründung wesentlich besser waren als in den übrigen Besatzungszonen: Bayern war im Krieg relativ unzerstört geblieben, die territoriale Struktur hatte sich nicht gewandelt und u. a. aufgrund der Aktivierung der politischen Kontakte aus der Zeit vor 1933 war es leicht, eine landesweite Organisation aufzubauen. Probleme bereiteten allerdings die partikularistischen Träume im Süden und Südosten Bayerns, ebenso wie die längst nicht ausgeräumten konfessionellen Reibungen zwischen dem protestantischen Ober- und Mittelfranken und dem katholischen Altbayern, Schwaben sowie Unterfranken. Außerdem wurde die CSU anfangs nicht als die Vertreterin bayerischer Interessen gesehen, sondern als Teil einer künftigen "Reichsunion". Und was die Partei selbst betraf: "Die erbitterten inneren Konflikte, die auf einer Verflechtung von sachlichen, persönlichen und strukturellen Ursachen beruhten, waren bis 1949 zweifellos die größte Crux der CSU. Diese Auseinandersetzungen begleiteten die CSU praktisch vom ersten Tag an und waren für die Frühgeschichte der bayerischen Unionspartei geradezu konstitutiv." (477) Die Flügelkämpfe zwischen Josef Müller, Fritz Schäffer und Alois Hundhammer haben nicht nur die Landespolitik beeinflusst, sondern trugen sich bis auf die untersten Ebenen fort. Ab 1949 kam mit der Bildung der CSU-Landesgruppe - mit Fritz Schäffer und Franz-Josef Strauß an der Spitze - in Bonn ein neues Konfliktpotenzial hinzu, nicht zuletzt deswegen, weil "die Mehrheit der Bonner CSU-Abgeordneten ein anderes Föderalismusverständnis entwickelte als ihre Münchner Parteifreunde" (479). Schlemmer führt die Differenzen auf die bayerische Provinzialität der Münchner Führung zurück, deren Politik durch die reformfreudigen Bonner CSU-Abgeordneten konsequent unterlaufen wurde. Der Tiefpunkt war schließlich 1954 erreicht, als die CSU zwar als stärkste Partei aus den Landtagswahlen hervorging (38 % der Stimmen), aber der Sozialdemokrat Wilhelm Hoegner bayerischer Ministerpräsident wurde, gestützt durch eine Koalition aus SPD, Bayernpartei, BHE und FDP. Schlemmer beendet seine beachtliche Untersuchung mit dem Ausblick auf den Elitenwechsel an der Parteispitze, die mit Hanns Seidel und seinen Stellvertretern Strauß und Rudolf Eberhard der CSU nach der einschneidenden Niederlage neuen Aufwind verschafften und schließlich 1957 den Regierungswechsel in München bewerkstelligten. Aber erst nachdem die CSU 1970 die absolute Mehrheit errungen hatte (das erste Mal seit 1946), schaffte sie es auch, "'die konservative Bastion Bayern [...] zu einer geschlossenen Gesamt-Hochburg' auszubauen" (484).
Inhaltsübersicht: II. Der programmierte Konflikt? Gründung und Entwicklung der CSU 1945/1946; III. "Ein Kampf um Bayern": Der Dualismus zwischen Partei und Fraktion 1946-1948; IV. Das Ende der Ära Müller 1948/1949; V. Befriedung und Stagnation: Die CSU in der Ära Ehard 1949-1955; VI. "Wir wollen der Sache einmal einen Auftrieb geben, wie es bisher ... noch nie dagewesen ist".
Axel Gablik (AG)
Dr., Historiker.
Rubrizierung: 2.331 | 2.313
Empfohlene Zitierweise: Axel Gablik, Rezension zu: Thomas Schlemmer: Aufbruch, Krise und Erneuerung. München: 1998, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/7079-aufbruch-krise-und-erneuerung_9468, veröffentlicht am 01.01.2006.
Buch-Nr.: 9468
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Dr., Historiker.
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