/ 21.06.2013
Hans Henning Hahn / Heidi Hein-Kircher / Anna Kochanowska-Nieborak (Hrsg.)
Erinnerungskultur und Versöhnungskitsch
Marburg: Verlag Herder-Institut 2008 (Tagungen zur Ostmitteleuropa-Forschung 26); VII, 318 S.; 45,- €; ISBN 978-3-87969-346-7Die Beiträge gehen zurück auf eine Tagung in Posen, das symbolischer Kristallisationspunkt für die hier inspizierten wechselvollen deutsch-polnischen Beziehungen ist. Wie die Herausgeber bereits in der differenzierten Einführung verdeutlichen, darf eine nicht auf einen Schlussstrich bedachte „Versöhnung“ nicht als einmaliger Akt missverstanden werden und impliziert in der Versöhnung immer auch das Unversöhnliche, wie Valentin Rauer anhand transnationaler Versöhnungsrituale belegt. Die Schwierigkeit der Versöhnung zweier Gesellschaften, so zeigen die Autoren auf, liegt hierbei in der Überwindung klassisch verstandener Erinnerungskultur, die darauf bedacht ist, selbst negative Episoden der Geschichte in ein positives Selbstbild zu übersetzen. Die Schwierigkeit nun, die Erinnerung der Anderen auch in ihrer Anklage anzuerkennen, konstatiert Tobias Weger in seinem Aufsatz zu den Erinnerungskulturen in Deutschland, Polen, Tschechien, in Frankreich und den Niederlanden ausnahmslos bis heute. Die Kluft zwischen offizieller und privater Versöhnungsbereitschaft dokumentieren etwa die Beiträge von Martina E. Becker zu deutsch-polnischen Schüleraustauschen und der höchst anregende Artikel von Christian Lotz zur Helmut-von-Gerlach-Gesellschaft. Dass offizielle Vergangenheitspolitik fast schon zwangsläufig zum „Versöhnungskitsch“ tendiert, zeichnet Kornelia Kończal für die deutsch-polnische Politik nach. Versöhnungskitsch, ein Begriff, der auf den Journalisten Klaus Bachmann zurückgeht, scheint sich überall da zu finden, wo transnationale Versöhnung die nationalen Erinnerungen herausfordert, wie im Verhältnis Frankreichs zu Deutschland, aber auch binnengesellschaftlich wie im Fall Spaniens nach dem Bürgerkrieg. Was die Beiträge so anregend macht, ist nicht einmal die provokante These, ein Gutteil von Vergangenheitspolitik erliege dem Versöhnungskitsch, sondern vielmehr, dass hier erstmals die Erinnerungskultur der Zwischenräume, nämlich der Beziehungen zweier Staaten zueinander auf ihren rhetorischen und ihren realgesellschaftlichen Gehalt hin untersucht wird.
Eva Voß (EV)
Dr., Politikwissenschaftlerin, Senior Referentin für Diversity Management bei der Bertelsmann AG.
Rubrizierung: 2.35 | 2.23 | 2.61
Empfohlene Zitierweise: Eva Voß, Rezension zu: Hans Henning Hahn / Heidi Hein-Kircher / Anna Kochanowska-Nieborak (Hrsg.): Erinnerungskultur und Versöhnungskitsch Marburg: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/29396-erinnerungskultur-und-versoehnungskitsch_34777, veröffentlicht am 03.02.2009.
Buch-Nr.: 34777
Inhaltsverzeichnis
Rezension drucken
Dr., Politikwissenschaftlerin, Senior Referentin für Diversity Management bei der Bertelsmann AG.
CC-BY-NC-SA