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/ 21.06.2013
Udo Di Fabio

Gewissen, Glaube, Religion. Wandelt sich die Religionsfreiheit?

Berlin: Berlin University Press 2009 (Berliner Reden zur Religionspolitik 1); 166 S.; 2., erw. Aufl.; geb., 19,90 €; ISBN 978-3-940432-26-1
Der Autor versammelt in diesem Band fünf Reden, die vom Nutzen der Religion und von ihrem Verhältnis zum Staat und zur Grundrechtsordnung handeln. Einleitend stellt Di Fabio fest, dass der neuzeitliche Prozess der Individualisierung und Säkularisierung anscheinend unaufhaltsam voranschreite. Doch seit einigen Jahren zeigen sich neue Tendenzen: vermehrte Rufe nach einer neuen Sittlichkeit, religiöse Suche nach Lebenssinn und Wirklichkeitsflucht. „Wo der Glaube versandet, scheint aber auch das Gewissen an Wirkkraft zu verlieren“ (10), erklärt der Autor diesen Prozess. Insofern erachtet er Religion für eine Gesellschaft als notwendig und er fragt nach der Stellung der Glaubensfreiheit in Konkurrenz mit anderen Grundrechten. Bisher, führt Di Fabio weiter aus, ist die Religionsfreiheit großzügig interpretiert worden, denn eine „kulturell und religiös vergleichsweise homogene Gesellschaft“ (26) vermied starke Spannungen. Mit einer zunehmenden Pluralisierung der westlichen Gesellschaften durch Migration und Segmentierung wird die traditionelle Religionsfreundlichkeit in Abwägung von Grundrechten sich womöglich zukünftig stärker systematisch orientieren müssen. Dabei plädiert der Autor dafür, der Religion im Sinne einer sich selbst beobachtenden „reflexiven Aufklärung“ (99) zu begegnen, die den Wert religiöser Traditionen erkennt und sie nicht aus Prinzip bekämpft. Der Verfassungsstaat solle sich also mit wohlwollender Neutralität präsentieren: den Bürgern einerseits ein sicheres Rechtsfundament bieten und einen freien Raum für Gewissensentscheidungen lassen, andererseits zugunsten der am Gemeinwohl orientierten Grundrechtsnormen eingreifen, wenn Freiheiten anderer gefährdet sind. Bedauerlich ist, dass der Autor bei all seinem Lob für die Religion und ihre Leistung für kulturelle Traditionen darauf verzichtet, problematische Bereiche zu thematisieren, in denen es nicht um religiöse Anspruchshaltungen geht, sondern um bereits vorhandene religiöse Rechtsprägung. So ließe sich u. a. die verfassungsrechtliche Auslegung des Familienbegriffs diskutieren.
Timo Lüth (TIL)
Student, Institut für Politische Wissenschaft, Universität Hamburg.
Rubrizierung: 5.412.232.322.35 Empfohlene Zitierweise: Timo Lüth, Rezension zu: Udo Di Fabio: Gewissen, Glaube, Religion. Berlin: 2009, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/29962-gewissen-glaube-religion_35511, veröffentlicht am 16.06.2009. Buch-Nr.: 35511 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
CC-BY-NC-SA