/ 21.06.2013
Thomas Schaarschmidt (Hrsg.)
Historisches Erinnern und Gedenken im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert
Frankfurt a. M. u. a.: Peter Lang 2008; 150 S.; brosch., 34,- €; ISBN 978-3-631-55429-6Während der Akt des Erinnerns durchaus ganz individuelle Formen annehmen kann, ist eine öffentlich gelebte Gedenkkultur Teil gemeinschaftlicher Ritualisierungen und Traditionen. Kollektive Erinnerung dient damit gleichsam vergegenwärtigter Vergangenheit, wobei immer nur ein Ausschnitt das Deutungsangebot für die Nachwelt bestimmt. Die sich daraus ergebende Problematik einer „Konkurrenz“ von Deutungsangeboten wird von den Autoren im Spiegel eigener Erfahrungen aus Wissenschaft und Denkstättenarbeit diskutiert und „unterschiedliche[...] Funktionen und Praktiken von Erinnern, Gedenken und zeithistorischer Forschung, ihr Spannungsverhältnis und ihre Wechselwirkungen sowie die zumeist diffusen öffentlichen Erwartungen an die heilsame Wirkung von Aufarbeitung und Erinnerungskultur“ (9) werden analysiert. Das von Pierre Nora ausgearbeitete Konzept des Erinnerungsortes, das jene Orte als Kristallisationspunkte kollektiver Erinnerung und Identität beschreibt, an denen sich rituell Gedenken vollzieht, nehmen die Autoren besonders in den Blick. Hierbei wird auch auf die Beweglichkeit der in den Orten scheinbar festgelegten Erinnerung eingegangen. Gerade in der Langzeitbetrachtung gelingt es, die gegenwärtige Bedingtheit von Erinnerung herauszuarbeiten, die auch Sabrow in seinem Aufsatz fruchtbar macht. Eine wirkliche Herausforderung für die nationale Gedenkkultur an der Schwelle zum 21. Jahrhundert stellt die Migration dar. Der Nexus zwischen Erinnerung und Identität wird in Einwandererbiografien gebrochen, da das private Gedächtnis hier weder in der Mehrheitserinnerung der neuen noch in derjenigen der alten Heimat Entsprechung findet (hierzu paradigmatisch der Aufsatz von Georgi). Was das für ein interkulturelles Zusammenleben heißen wird, bleibt Forschungsdesiderat. Ebenso wie eine Annäherung an die nicht nur inhaltlich mobilen „neuen“ Erinnerungsorte, die durch das Medium Internet zusehends Gedenken vermitteln bzw. verändern. Der Band basiert auf einer Vortragsreihe der Koordinationsstelle des Projektverbundes Zeitgeschichte Berlin-Brandenburg, die zwischen 2005 und 2006 stattfand.
Eva Voß (EV)
Dr., Politikwissenschaftlerin, Senior Referentin für Diversity Management bei der Bertelsmann AG.
Rubrizierung: 2.23 | 2.35 | 2.61
Empfohlene Zitierweise: Eva Voß, Rezension zu: Thomas Schaarschmidt (Hrsg.): Historisches Erinnern und Gedenken im Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert Frankfurt a. M. u. a.: 2008, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/29632-historisches-erinnern-und-gedenken-im-uebergang-vom-20-zum-21-jahrhundert_35077, veröffentlicht am 28.10.2008.
Buch-Nr.: 35077
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Dr., Politikwissenschaftlerin, Senior Referentin für Diversity Management bei der Bertelsmann AG.
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