Skip to main content
/ 20.06.2013
Adriaan Kühn

Kampf um die Vergangenheit als Kampf um die Gegenwart. Die Wiederkehr der "zwei Spanien"

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2012 (Extremismus und Demokratie 24); 347 S.; 54,- €; ISBN 978-3-8329-7852-5
Diss. Chemnitz; Begutachtung: E. Jesse, A. Gallus. – Es scheine, als werde Spanien von seiner Vergangenheit eingeholt. „Mehr noch, ‚die Gegenwart selbst wird zur Vergangenheit, die nicht zu Ende geht‘“ (21). Adriaan Kühn macht diese Beobachtung an der Wiederkehr der Metapher der „zwei Spanien“ fest. Dieser historische Begriff bezeichnet die Spaltung der Gesellschaft in das republikanische und das franquistische Lager. Mit dem Übergang zur Demokratie verbunden war aber die Übereinkunft, diese Spaltung künftig zu ignorieren und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Als Begründung wurde (und wird) genannt, dass nur so die Stabilität des Landes zu gewährleisten sei. Nun aber ist Spanien nach Beobachtungen Kühns in einen Krieg der Erinnerungen verstrickt, unter anderem befördert durch das 2007 von der sozialistischen Regierung ausgearbeitete „Gesetz der historischen Erinnerung“, das „auf heftigen Widerstand der konservativen Opposition“ (18) stieß. Nachdem Kühn die historische Ausgangssituation sowie die ungleichen Bürgerkriegsrezeptionen referiert hat, untersucht er die neuen Debatten über die „zwei Spanien“. Man hätte sich hier die Befragung wenigstens einiger Beteiligter gewünscht, aber Kühn stützt sich nur auf Sekundärliteratur. Er zeichnet das Bild einer in sich zersplitterten politischen Kultur: Die Zivilgesellschaft findet zu keinem Konsens, die Justiz weigert sich meist, eine Rolle bei der Aufklärung der Vergangenheit zu übernehmen, und die Wissenschaft ist im Lagerdenken steckengeblieben. Interessant ist nach Kühn vor allem der Part der politischen Akteure. Er erkennt in den beiden großen Parteien PP und PSOE die Initiatoren der erneuten „zwei Spanien“‑Aufregung. Ihre jeweilige Regierungspolitik sei zwar so wenig verschieden, dass der Gebrauch dieser rhetorischen Figur nicht gerechtfertigt sei. Diese werde aber genutzt, um sich voneinander abzusetzen. Tatsächlich seien die „zwei Spanien“ überwunden, nicht einmal die konservative PP rechtfertige noch franquistische Positionen. Deren Debattenbeiträge seien nur noch Rückzugsgefechte. Mit dieser These marginalisiert Kühn allerdings, dass die konservativen Kräfte mit aller Macht eine Aufarbeitung der franquistischen Diktatur behindern. Der PSOE schreibt der Autor zu, die politischen Projekte ihrer Vorgänger geschichtspolitisch vereinnahmen zu wollen, um auf dieser Grundlage Autonomiebestrebungen befürworten zu können und als Vertreterin der Linken Konfliktlinien ins 21. Jahrhundert transferieren zu können. Es bleibt die Frage nach der Tragweite der Debatte: Der Umgang mit der Geschichte findet laut Kühn in den Parteiprogrammen keinen Niederschlag. „Mit Erinnerungspolitik werden in Spanien keine Wahlen bestritten.“ (299)
Natalie Wohlleben (NW)
Dipl.-Politologin, Redakteurin pw-portal.de.
Rubrizierung: 2.612.252.212.222.23 Empfohlene Zitierweise: Natalie Wohlleben, Rezension zu: Adriaan Kühn: Kampf um die Vergangenheit als Kampf um die Gegenwart. Baden-Baden: 2012, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/21969-kampf-um-die-vergangenheit-als-kampf-um-die-gegenwart_43315, veröffentlicht am 04.04.2013. Buch-Nr.: 43315 Inhaltsverzeichnis Rezension drucken
CC-BY-NC-SA