/ 08.12.2016
Jens Hartung / Irina Mohr / Franziska Richter (Hrsg.)
50 Jahre Deutsche Einheit. Weiter denken – zusammen wachsen
Bonn: Verlag J. H. W. Dietz Nachfolger 2015; 303 S.; brosch., 14,90 €; ISBN 978-3-8012-0476-1Der Titel des Bandes spielt mit Rück‑ und Ausblick auf die politische Gestaltung der deutschen Einheit: Was lässt sich rückblickend nach 25 Jahren sagen? Was bleibt für die nächsten 25 Jahre zu tun? Aus der Perspektive der „Gedanken‑ und Ideenwelt der sozialen Demokratie“ (10), der sich der Band verpflichtet fühlt, gebe es noch viel zu tun. Denn, so Sigmar Gabriel in seinem Grußwort, „keine andere Region in Deutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten so viele Brüche und Veränderungen meistern müssen“ (12 f.). Auch wenn das stark vereinseitigt formuliert sein mag – man denke etwa an den Strukturwandel im Ruhrgebiet –, so ist der Versuch einer Bilanzierung des „Aufbaus Ost“ (25) durchaus ein begrüßenswertes Unterfangen. Etwa dann, wenn er, wie Wolfgang Tiefensee ausführt, dazu beiträgt, die ostdeutschen Bundesländer nicht mehr bloß als einen monolithischen Block, sondern differenzierter wahrzunehmen. So seien die wirtschaftlichen Profile zwischen Rügen, der Lausitz und dem Harz ebenso unterschiedlich ausgeprägt wie die sozioökonomischen Bedingungen, schreibt Tiefensee. Hinsichtlich der innerfamiliären Rollenverteilungen, so zeigt Sascha Vogt in seinem Beitrag, bestehen auch 25 Jahre nach dem Mauerfall noch signifikante Unterschiede zwischen West und Ost. Ostdeutsche Väter seien aufgrund ihrer stärkeren Einbindung in familiäre Aufgaben insgesamt zufriedener als ihre westdeutschen Pendants. Hieraus zieht Vogt wiederum den Schluss, dass „Chancengleichheit für Frauen und Männer auf dem Arbeitsmarkt“ (107) eine Aufgabe höchster Dringlichkeit sei. Das ist sie zweifelsohne auch, nur geht es um noch viel wesentlichere Problematiken: Die von Sigmar Gabriel in seinem Grußwort angesprochene grundgesetzliche Verpflichtung aller Politik, „gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Deutschland herzustellen“ (13), ist eben gerade keine Verpflichtung, die sich heute, mehr als 25 Jahre nach der Wiedervereinigung, noch in eine West‑Ost‑Dichotomie pressen ließe, wie Vogt das für die Familienpolitik zu tun versucht. Stattdessen, und auch das ist eine Folge von 25 Jahren Wiedervereinigung, muss sich Politik um ein bedarfsgerechtes, nicht mehr bloß um ein geografisches Engagement kümmern. Mit anderen Worten: Solange die Arbeitslosen‑ und Hartz‑IV‑Empfänger‑Quoten in einigen Ruhrgebietsstädten auf Höchstwerten verharren, ist der Ruf nach mehr Erziehungszeiten für Väter einfach sekundär. Aus der Sicht mancher westdeutscher Kommune würde sich die Stimmung etwa schon dann aufhellen, wenn sie nicht jedes Jahr neue Kredite aufnehmen müsste, um ihren Anteil am Aufbau Ost zu stemmen – angesichts verrottender öffentlicher Infrastruktur von Duisburg bis Dortmund. Auch diese Thematik hätte, wenn nicht in eine Rückschau, so denn doch in eine Vorausschau gehört, die der Band ja auch zu sein verspricht, zu der er sich aber auf wichtigen Feldern nicht vorwagt.
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Rubrizierung: 2.315 | 2.341 | 2.342 | 2.35 | 2.36 Empfohlene Zitierweise: Matthias Lemke, Rezension zu: Jens Hartung / Irina Mohr / Franziska Richter (Hrsg.): 50 Jahre Deutsche Einheit. Bonn: 2015, in: Portal für Politikwissenschaft, https://www.pw-portal.de/rezension/40184-50-jahre-deutsche-einheit_47733, veröffentlicht am 08.12.2016. Buch-Nr.: 47733 Inhaltsverzeichnis Rezension druckenCC-BY-NC-SA